Neues zur Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften i.S.d. § 11 BewG

BFH News 16.03.2023

FG Düsseldorf, Urteil vom 2.11.2022 - 4 K 1832/20 F

Dem Urteil lag – kurz zusammengefasst – die Übertragung von Geschäftsanteilen an einer GmbH zugrunde. Diese GmbH war familiär strukturiert. An dieser GmbH war eine dreistellige Anzahl natürlicher Personen unmittelbar oder mittelbar über Holdinggesellschaften beteiligt.

Grundsätzlich bestand eine gesellschaftsvertragliche Verfügungsbeschränkung der Geschäftsanteile zugunsten von Abkömmlingen. Gleichwohl konnte der Personenkreis unter Zustimmungsvorbehalt erweitert werden. Ferner ermittelte die GmbH einen gemeinen Wert i.S.d. § 11 BewG.

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Mit Urteil vom 2.11.2022 (Az.: 4 K 1832/20 F, Revision anhängig beim BFH unter Az.: II R 49/22) hat sich das FG Düsseldorf bewertungsrechtlich

  1. zum Personenkreis der „fremden Dritten“ i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG
  2. dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG
  3. dem sog. „Holdingabschlag“ oder auch „Holding Discount“
  4. dem Unterschreiten des Substanzwertes i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG geäußert

Zusammengefasst kommt das Finanzgericht zu folgenden Thesen:

1. „Verkäufe unter fremden Dritten“

i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG liegen auch bei Verkäufen unter verwandten Personen vor, die keine Angehörigen i.S.d. § 15 Abs. 1 AO sind. Das FG hat hier den Begriff der „fremden Dritten“ negativ von dem Begriff der (nahen) Angehörigen i.S.d. § 15 Abs. 1 AO abgegrenzt. Wer angehörig ist, kann nicht fremd sein und wer fremd ist kann kein Angehöriger sein.

Verkäufe zwischen Personen deren Verwandtschaftsverhältnis über den dritten Grad hinausgehen („ferner als Cousins“), sind als Wertmaßstab bei der Ableitung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften möglich. Dies war streitig, da der Gesetzgeber wohl zwar nur eine Fremdüblichkeit gewollt, der Gesetzeswortlaut aber eine andere Auffassung sicherlich zuließe.

2. Der gewöhnliche Geschäftsverkehr

Der gewöhnliche Geschäftsverkehr ist nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass ein Gesellschaftsvertrag Verfügungsbeschränkungen vorsieht. Vielmehr komme es auf den Umfang der Beschränkung, also den noch zur Verfügung stehenden Personenkreis, an. „Geschlossene“ Verfügungsbeschränkungen sind schädlich, offene hingegen nicht. Für die Beratungspraxis ist hier daher an eine Öffnungsklausel zu denken.

Darüber hinaus konnten die hier intern ermittelten und zur Verfügung gestellten Werte ohne Zwang und freiwillig angenommen oder abgelehnt werden. Dies entspreche der Wertbildung/-ermittlung jedes Vertragspartners ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen, also im gewöhnlichen Geschäftsverkehr.

Für die Beratungspraxis ist darauf zu achten, dass Wertermittlungen und Kaufpreise nicht vorweg bindend vorgegeben werden, sondern lediglich als Vorschlag/Orientierung fungieren. Auch hier gilt: „geschlossene“ Wertermittlungen sind schädlich, „offene“ Wertermittlungen hingegen nicht.

Problematisch bleiben Verkäufe zu einem Kaufpreis, der nicht annähernd den Wert der Anteile widerspiegelt.

3. Anteile an Holdinggesellschaften

Anteile an Holdinggesellschaften werden auf dem Markt geringer bewertet als die Summe der Werte der von ihnen gehaltenen Beteiligungen. Bei der Bewertung der Anteile an Holdinggesellschaften ist ein Marktwertabschlag (sog. Holdingabschlag oder auch Holding Discount) vorzunehmen.

Die Höhe ermittelt sich aus vorangegangenen Verkaufsfällen der Gesellschaft oder etwa einem Vergleich mit Verkaufsfällen bei vergleichbaren Gesellschaften. Bei der Bewertung von Holdinggesellschaften bleibt es spannend. Dies gilt eher für Konzernholdings; Anteile an einer persönlichen Beteiligungsholding (beispielsweise eines Venture Capitalists) werden hingegen selten veräußert.

4. Kein Substanzwert als Mindestwert

Wird der gemeine Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG aus Verkäufen unter fremden Dritten abgeleitet, dann kann der Substanzwert (§ 11 Abs. 2 Satz 3 BewG) nicht als Mindestwert herangezogen werden. Dies ergebe sich aus der „unwiderlegbaren“ Vermutung des Gesetzgebers, dass zeitnahe Verkäufe in der Vergangenheit den zutreffenden Marktwert zum Bewertungsstichtag richtig widerspiegeln.

Eines Rückgriffs auf den Substanzwert als Mindestwert bedürfe es daher nicht. Hier liegen Chance und Risiko zugleich. Das FG liegt damit auf der Linie des BMF (vgl. BMF v. 16.11.2021, BStBl. I 2021, 2308, Rn. 19). Das FG Münster (Urt. V. 15.4.2021, Az. 3 K 3724/19 F) hatte das noch anders gesehen. Auch insoweit ist ein Revisionsverfahren beim BFH anhängig (Az. II R 15/21). Der zweite Senat wird sich daher sicherlich gerne zu dieser Frage äußern.

5. Der BFH und die beschriebenen Revisionsverfahren

In den beschriebenen Revisionsverfahren wird der zweite Senat des BFH nun die Gelegenheit, die rechtliche Situation zur Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften i.S.d. § 11 BewG greifbarer und für die Beratungspraxis rechtssicherer zu gestalten.